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Die Süddeutsche Zeitung beschreibt es als „Bunte-Zettel-Management“. Andere meinen, dass es dafür ausreicht, „Scrum“ oder „Design Thinking“ zu implementieren. Wir sprechen von agiler Arbeit. Doch was bedeutet das konkret? Wie können Unternehmen vermeiden, sich bei der Umsetzung zu verzetteln? Wie sieht Agilität in der Praxis aus? Und worauf müssen Unternehmen in einem wirtschaftlich schwierigen und von der Corona-Krise gezeichneten Umfeld besonders achten? Neue Erkenntnisse können uns helfen, ein vertrautes Mindset zu überdenken. In dieser dreiteiligen Blogserie werden diese – und andere – Fragen zur Einführung agiler Arbeitsprozesse in Unternehmen beantwortet.
Agiles Arbeiten wie wir es heute kennen, hat seinen Ursprung in den 1990er Jahren und ist eng mit Softwareentwicklung assoziiert. Seit Anfang des neuen Jahrtausends hält das „Manifesto for Agile Software Development“ (kurz: „Agile Manifesto“) die wichtigsten Prinzipien fest. Die vier Leitsätze lauten:
Agiles Arbeiten heißt nicht nur, Software agil zu entwickeln. Es geht um viel mehr. Zum einen um Kollaboration – untereinander und mit dem Kunden. Zum anderen um Flexibilität – mit Blick auf Prozesse und Veränderungen. Und darum, gemeinsam mit dem Kunden Lösungen für seine Probleme zu finden.
Mit Agilität ist eine Form der Arbeitsorganisation gemeint, deren Ziele insbesondere Anpassungsfähigkeit, Wendigkeit und schnelle, proaktive Reaktion auf Veränderungen von Personen und Organisationen ist. Der Begriff wird sowohl auf Strukturen als auch auf Arbeitsprozesse angewandt. Agile Arbeitsweisen sind besonders dafür geeignet, auf komplexe Situationen und Herausforderungen zu reagieren und sind daher nicht nur für die Entwicklung von Software anwendbar – hier bedeutet Agilität die schnelle Entwicklung in kurzen iterativen Zyklen (Sprints). Durch regelmäßige Lieferung funktionierender Software erfolgt die Wertschöpfung in einem frühen Stadium, benötigte Änderungen können frühzeitig erkannt und umgesetzt werden. Regelmäßige Kommunikation und Transparenz sind wichtige Merkmale agiler Organisationen. Eine agile Vorgehensweise ist vor allem in komplexen Umgebungen sinnvoll, da es hier oft zu unerwarteten Veränderungen kommt, die Anpassungen erfordern.
Um aber agil zu arbeiten, muss das Unternehmen selbst ebenfalls agil aufgestellt sein. Anders gesagt: Eine agile Unternehmenskultur ist die Grundvoraussetzung für erfolgreiches agiles Arbeiten mit dem notwendigen Mindset von: „Wie ich denke, beeinflusst meine Haltung und ich handle dementsprechend!“
Wie bereits erwähnt, sind diese Konzepte – zusammen mit der damit einhergehenden Denkweise – nicht neu. Angesichts der aktuellen Ereignisse gewinnen sie jedoch ein ganz spezifisches Gefühl der Dringlichkeit, da Agilität ein nützlicher Gegenpol zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der weltweiten Korona-Pandemie sein kann.
Für Unternehmen gibt es zahlreiche Modelle, die aufzeigen, wie eine erfolgreiche agile Unternehmenskultur aussehen kann. Dabei werden viele Aspekte der Kultur berücksichtigt, darunter die bestmögliche Entfaltung der Mitarbeiter, Förderung von Eigeninitiative und Selbstorganisation bis hin zu einem wertschöpfenden, partnerschaftlichen Verhältnis mit Kunden.
Ein besonders vielversprechendes Modell ist das „Culture Model“ nach William E. Schneider („The Reengineering Alternative“). Schneider bezeichnet Firmenkultur als „Wie wir die Dinge angehen, um erfolgreich zu sein.“ Schneider zufolge hängt die Kultur sehr stark von der Art der Unternehmensführung ab. Er unterteilt sein Modell in vier unterschiedliche Kulturen:
Die Kulturen werden in Quadranten einer Matrix (Abb. 1) mit den Achsen Entscheidungsorientierung und Wertorientierung angeordnet. Bei der Entscheidungsorientierung wird hinterfragt, auf welche Art und Weise das Unternehmen Entscheidungen trifft. Dies kann menschenorientiert erfolgen (mitbestimmt, evolutionär, unkonventionell und rücksichtsvoll) oder unternehmensorientiert (formell, auf Fakten basierend). Bei der Wertorientierung wird hinterfragt, worauf ein Unternehmen besonderen Wert legt. Das kann zum einen Möglichkeiten orientiert sein. Hier handelt das Unternehmen aus Überzeugung und achtet auf Innovation, Chancen und Inspiration. Oder es kann faktenorientiert sein. Dann würde das Unternehmen auf die Gegebenheiten und auf bereits gemachte Erfahrungen und Nutzen Wert legen.
Bei agilen Unternehmen liegt der Schwerpunkt auf Kollaboration; Erfolg basiert auf der Zusammenarbeit von Mitarbeitern, die einer gemeinsamen unternehmerischen Vision folgen.
Um diesen Erfolg zu gewährleisten, müssen agile Mitarbeiter in der Lage sein, selbstbestimmt und eigenverantwortlich im Team zu arbeiten und Entscheidungen zu treffen. Daher muss ein agiles Unternehmen seinen Mitarbeitern ein hohes Maß an Eigenverantwortung, Selbstmanagement und Entscheidungsfreiheit übertragen. Nur so sind agile Teams fähig, sich selbst zu führen und für Kunden Wertschöpfung zu erzeugen. Dies zahlt ein auf das oben erwähnte Mindset von Haltung und Handlung. In der aktuellen Krise können selbst geführte, verantwortungsbewusste Teams viel schneller reagieren als traditionelle, in strengen Hierarchien organisierte Unternehmen.
Wie aber sieht Agilität in der Praxis aus? Ein Beispiel aus der Finanzbranche zeigt Vorteile dieses Ansatzes auf. Die Commerz Real, eine hundertprozentige Tochter der Commerzbank, wollte ihre Produktpalette erweitern und gleichzeitig agile Prozesse etablieren. Hierfür beauftragte sie AOE mit der Entwicklung einer Lösung für die automatisierte, digitale Berechnung von Leasingverträgen für Mobilien. AOE entwickelt digitale Business-, E-Commerce- und Marktplatzlösungen. Darüber hinaus hat AOE die Commerz Real bei der Transformation hin zu einer agilen, zukunftsorientierten Projektdurchführung unterstützt. Im Sinne von Agilität wurden die Commerz Real Teams vor Ort befähigt, Entscheidungen zu treffen. Dr. Andreas Muschter, CEO von Commerz Real, schildert, welche Auswirkungen agile Arbeitsprozesse auf das Projekt hatten: „Den Mitarbeitern ist Agilität in Fleisch und Blut übergegangen. Mir ist häufig so gegangen, dass ich dachte, ‚dann hätten die doch mal fragen können‘. Haben die aber einfach entschieden, weil sie sagen, ‚wir können es eh am besten beurteilen. Wir wollen schnell sein. Wir wollen keine Zeit verlieren. Deshalb machen wir das jetzt so‘“.
Damit agile Teams produktiv arbeiten können, müssen die passenden Rahmenbedingungen vorher festgelegt werden. Hierzu zählen Ressourcen (Teamgröße und -expertise), Zeit, eingesetzte Technologien und Budget. Wenn diese Parameter vorhanden sind, können agile Teams eigenständig arbeiten.
Dies war auch bei Commerz Real der Fall. Das Resultat: Die Time-to-Market war bei der Entwicklung der Lösung wesentlich kürzer, als es bei einer nicht-agilen Methodik der Fall gewesen wäre. Commerz Real wurde 2018 vom European Real Estate Brand Institute dafür als das Unternehmen mit der höchsten Digitalisierungskompetenz in der Immobilienbranche ausgezeichnet.
Im zweiten Teil dieser Blogserie gehe ich auf die Unterschiede zwischen traditionellen und agilen Unternehmen ein, erläutere die drei Grundvoraussetzungen für Agilität und gebe einen Überblick über das Tuckman-Phasenmodell der Gruppenentwicklung.
Weitere Einblicke in das Thema und wie Agilität in Unternehmen umgesetzt werden kann, erhalten Sie in den Teilen zwei und drei dieser Blogserie:
Dieser Blogpost ist ein Auszug des Beitrags „So geht agil: Ein Bauplan für jedes Unternehmen“, der ursprünglich auf ibusiness erschienen ist.